Der Begriff „Total Liberation“ taucht in den letzten Jahren immer häufiger in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung auf. Er umschreibt die Idee, alle emanzipatorischen Bewegungen unter dem Überbegriff „Total Liberation“ zusammenzuführen. Da zu diesem Thema bislang eher wenig geschrieben wurde, haben wir verschiedene Gruppen und Einzelpersonen innerhalb und außerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung gefragt.
Wie verstehen und interpretieren einzelne Gruppen und Personen aus dem emanzipatorischen Spektrum das Konzept „Total Liberation“? Welche Perspektiven und Möglichkeiten bietet dieser Ansatz? Welche Herausforderungen und Probleme ergeben sich aus dem Zusammenschluss mit anderen, nichtveganen, emanzipatorischen Gruppen? Wie können wir das Thema für Aktive aus dem emanzipatorischen Spektrum attraktiv zu machen, für die Tierrechte und Tierbefreiung aktuell noch nicht Teil ihres politischen Engagements sind?
Wir veröffentlichen nun jede Woche eines dieser Interviews und wollen damit eine Diskussion zu diesem Thema anstoßen – innerhalb und außerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Wir hoffen auf fruchtbare und konstruktive Diskussionen. Zum Abschluss dieser Interviewreihe werden wir die, aus den Interviews und Diskussionen gewonnenen, Erkenntnisse und Fragestellungen in einem Artikel zusammenfassen.
Für unser erstes Interview sprachen wir mit der Berliner Tierbefreiungsaktion (BerTA). In unserem zweiten Interview geben uns die Kreaktivisten ausführliche Einblicke.
Stellt euch und eure Gruppe kurz vor. Seit wann gibt es euch und was sind die Schwerpunkte eurer Arbeit?
Kreaktivisten.org definiert sich nicht als feste Gruppe, sondern als eine Plattform, die dazu einlädt, sich zu beteiligen und die mitgestaltet werden kann und soll. Auf dieser Plattform finden sich vor allem Tipps für Aktivismus und Protestformen, Material für Guerillaaktionen und politische Kunst, sowie freie politische Musik, Sticker usw. Organisiert wird diese Plattform von einem Kollektiv von Leuten, die vor allem online zusammenarbeiten. Dabei sind wir eine komplett bunt gemischte Truppe mit verschiedenen Aktionsschwerpunkten, uns einen aber die gemeinsamen politischen Ideen und Prinzipien: Klare Ablehnung von Speziesismus und der Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere einschließlich deren Nutzung, klare Ablehnung aller Formen von Herrschaft, Ausbeutung und Diskriminierung von Menschen aufgrund von willkürlichen Unterscheidungen und gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Aktions– und Widerstandsformen. Der Name „Kreaktivisten“ umfasst unsere zwei Grundideen: Kreativität und Aktivismus. Reiner Aktivismus ohne Konzept und Ziel bringt nichts und Kreativität braucht ein Ziel, um sich zu entfalten. Kreativer Aktivismus – also Kreaktivismus – stellt unserer Ansicht nach eine erfolgversprechende Symbiose dar.
Privat sind wir ganz unterschiedlich aktivistisch unterwegs, als Kreaktivisteninnen findet man uns auf Demos und veganen Events, aber vor allem online auf Kreaktivisten.org oder Facebook. Unsere Webseite ist den meisten Menschen vermutlich wegen des umfangreichen Downloadbereich für Aktionstipps und wegen des Shops mit Aktionsmaterial zu Druckkostenpreisen bekannt. Uns selber und unsere Arbeit koordinieren wir über ein Onlineforum, welches auch für jeden derdie mitmachen möchte, offen ist. Unsere Facebookseite (oder alternativ der Newsfeed auf Kreaktivisten.org) wird von den meisten Usern wegen der breiten Palette an Themen aus allen Bereichen der Herrschaftskritik, über die wir berichten, gerne genutzt. Unsere Themenschwerpunkte verlagern sich immer wieder, je nachdem welche Themenbereiche und politische Themenschwerpunkte bei den verschiedenen Kreas auch im Privatleben oder in ihrem Aktivist*innenleben außerhalb von Krea gerade eine große Rolle spielen. So beschäftigen wir uns neben dem (Anti)Speziesismus mal mehr mit (gesellschaftlich konstruierten) Geschlechterrollen, Antifaschismus, Flüchtlingsrechten, (Anti)Sexismus, Homophobie, Beziehungskonzepten (…) und eben allen möglichen Themen aus den Bereichen der Herrschaftskritik und Co.
Der Begriff ″Total Liberation″ taucht ja in den letzten Jahren immer häufiger auf. Was versteht ihr unter dem Begriff ″Total Liberation″?
Das ist vermutlich so eine Sache – würde man 10 Leute dazu befragen, würde man 11 Meinungen dazu hören. Und so hat wohl jeder von uns auch ein wenig seine eigenen Ideen, Träume und Definitionen dazu, die man gar nicht alle einbringen kann, aber vielleicht auf ihren gemeinsamen Nenner zusammenkürzen:
Unsere Idee von „Total Liberation“ wäre die Beendigung aller Formen von Ausbeutung und Diskriminierung, ein Bedingungsloses „Her mit dem schönen Leben“, ein Leben und eine Gesellschaft, die frei von Herrschaft ist und in der es irgendwie gelingt, dass alle darin frei sein können. Dass nicht alle gleich, sondern jeder als Individuum glücklich sein kann. Ein Leben, welches frei von erzwungenen Normen und (Geschlechter)rollen, veralteter Moralvorstellungen, kapitalistischem Wirtschaftsdruck ist. Ein System des Zusammenlebens, welches auf respektvollem Umgang basiert und in der jedes Lebewesen sein Fleckchen Sonne genießen könnte – auch ohne, dass überall erzwungen harmonisches „Friede Freude Eierkuchen“-Gedusel ist, in dem auch nicht jeder Mensch jeden mögen muss. In dem Differenzen aber anders gelöst werden als im hier und jetzt… in dem eine emanzipatorische Gesellschaft und ein emanzipatorisches Leben „gelingt“.
Das wäre sicher unser aller Traum – und wie wir dahin kommen, wie das alles klappen soll und ob die Umsetzung von Tierrechten jetzt heißt, dass jedem Sanktionen drohen, der versehentlich auf einen Käfer tritt, dafür haben wir leider bisher keine tollen abschießenden Antworten.
Welche Perspektiven und Potentiale seht ihr im Hinblick auf die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen emanzipatorischen Gruppen?
Ich denke, dass Vernetzung immer auf verschiedenen Ebenen sehr wichtig: Zum Einen lernst du einfach viel dazu. Du lernst andere Gruppen mit anderen Aktionsschwerpunkten kennen, mit dem gleichen Ziel, aber vielleicht anderen Wegen, anderen Konzepten, anderen Aktionsformen. Du lernst sehr unterschiedliche Leute kennen, die dich vermutlich irgendwie alle inspirieren werden und durch Gespräche und Diskussionen erweiterst du nicht nur deinen Horizont, sondern reflektierst auch deine eigenen Ideen viel mehr. Auch Kritik anderer Personen und Gruppen, ihre positiven oder negativen Erfahrungen bringen dich/deine Gruppe weiter.
Ich glaube fast jede „Aktionsgruppe“ die ich kenne, kann irgend etwas ganz besonders gut – davon profitieren andere Gruppen dann auch. Vielleicht kennt ihr das von Großdemos, man ist angereist und wuselt so durch die Massen und irgendwo siehst du dann Aktionsgruppe X und Aktionsgruppe Y und du weißt genau „Ah, da wo X läuft wird besonders gut Skandiert, die haben immer super Transpis, da gehst du mit“ oder du weißt „Aktionsgruppe Y ist absolut loyal und vertrauenswürdig, und kennen sich mit Rechtshilfe aus, wenn irgendwo blockiert wird und es zu Ärger kommt, bei denen bist du sicher“ und dann läuft du bei denen mit. So ist es auch im Theoretischen. Manche Gruppen sind einfach total belesen, rhetorisch super drauf, geben tolle Magazine und Artikel raus, andere Gruppen hingegen organisieren super Demos und andere wiederum betreiben super Camps und Aussteigerprojekte – und wenn du ein Problem hast, weißt du bei wem du nachfragst.
Das Andere und – wie ich persönlich finde – total wichtige im Kontakt mit anderen Gruppen ist die Stärkung interner Strukturen. Du weist einfach: Da sind noch andere Leute, die die gleichen Ideen und Träume haben wie wir, die auch daran arbeiten, wir sind nicht alleine, wir sind ganz schön viele. Und du erfährst immer, wenn die anderen Gruppen etwas Tolles geschafft haben und das fühlt sich auch für dich toll an, weil es Hoffnung und Kraft gibt. Und wenn du manchmal das Gefühl hast, dass „das alles“ nichts mehr bringt und all deine genialen politischen Konzepte mit Blick auf die aktuelle Gesellschaft totaler Bockmist sind, dann sind diese anderen Menschen und Gruppen genau die, die sich aus deinem misanthropischen Sumpf wieder rausholen!
Dabei würde ich diese ganzen Begriffe wie „Vernetzung emanzipatorischer Gruppen“ gar nicht so bierernst umsetzen wie es vielleicht anmutet – einige der inspirierendsten Vernetzungsgespräche hatte ich wahrscheinlich nach dem 5ten Glas Wein, total erschöpft vom Tanzen und der Action des Tages auf irgendwelchen Afterdemopartys wo ich mit einem wildfremden Aktivistie aus Buxtehude noch das letzte Stück veganer Pizza geteilt habe und wir dann darauf gekommen sind, wie wir uns eine Welt vorstellen würden, in der jeder Tag mit Pizza und Wein beginnt. Die Edger unter den Kreas werden mir jetzt vermutlich einen strengen Blick zuwerfen und mich ermahnen die Kreas nicht in so einen verfressenen Säuferkontext zu stellen ;D
Wie versucht ihr den Ansatz ″Total Liberation″ in eurer praktischen Arbeit umzusetzen? Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
Wieder so eine komplexe Frage :D Unser Zweck als Kreakitivisten.org ist es ja eigentlich nur eine Plattform zu sein, auf der sich Menschen, deren praktische Arbeit der total Liberation gewidmet ist, bedienen können. Wir würden also das „Kleine Handbuch des Total Liberation-Aktivismus“ (für Anfängerinnen) sein. Nun, bis dahin ist es noch ein langer Weg und man muss sich ja darüber hinaus ja noch jeden Tag selber wieder ein wenig reflektieren, aber der erste Schritt ist da. Unsere Zusammenarbeit versuchen wir möglichst barrierefrei und hierarchiefrei zu gestalten. Und wir arbeiten mit dem Konsensprinzip – was zwar viiiieeele lange Diskussionen mit sich zieht, aber bei uns insofern funktioniert, als dass am Ende wirklich jeder zu seiner*ihrer Entscheidung, die dann auch unsere Entscheidung ist, stehen kann.
Alles was wir für Krea (er)arbeiten, machen wir unbezahlt und in unserer Freizeit. Für unsere Web- und Shopbetreuerinnen bedeutet das täglich ein paar Stunden Arbeit. Alles was wir erarbeiten oder produzieren wird kostenlos oder zum Selbstkostenpreis weitergegeben, damit auch so ziemlich jeder von unserer Vorarbeit profitieren kann. Auf (Tierrechts-)Events geben wir an unserem Soli-Essensstand das Essen soweit wie möglich gegen Spende ab, denn jede*r soll die Möglichkeit bekommen, satt zu werden, auch mit ganz kleinem (oder eben keinem) Budget. Wenn wir etwas produzieren lassen, achten wir auch faire Arbeitsbedingungen, Bio- und Ökostandarts und natürlich vegane Produktionsmittel soweit es irgendwie geht.
Das spannendste daran sind vermutlich unsere Erfahrungen damit: Angefangen haben wir vor inzwischen 6 Jahren (glaube ich) mit zwei Personen. Das Ziel war es, ursprünglich eine Onlineplattform zu schaffen, in der Wissen für und von Tierrechtsaktivistinnen zur Organisation verschiedener Aktions- und Protestformen für „Anfängerinnen“ aufbereitet geteilt werden soll, da wir oft die Erfahrung gemacht hatten, dass einerseits Wissen vorhanden ist, was aber nicht geteilt wird und andererseits viele motivierte Leute unterwegs sind, die aber kaum organisiert aktiv sind, weil sie schlichtweg nicht wissen wie sie das anstellen sollen. Das scheitert(e) schon oft an der Frage „Wie melde ich eine Kundgebung an“. Wir wollten diese „Wissenshierarchien“ abbauen und jedem motivierten Menschen die Möglichkeit geben, sofort aktiv zu werden. Und soweit wir das recherchiert hatten, gab es zwar schon ähnliche Projekte für andere politische Kontexte, keines aber, wo der Tierrechts-/Tierbefreiungsbezug im Fokus stand oder überhaupt Erwähnung fand. Andere Projekte wiederum fanden wir persönlich super, waren aber nicht für Aktivismus-Einsteiger*innen geeignet, weil die Infos doch einigermaßen viel Erfahrung und Wissen voraussetzen. Wir entschieden uns daher, Krea wirklich als Plattform für Aktivismus-Neulinge zu gestalten und versuchen auch bis heute, die Inhalte und auch die Sprache, die wir verwenden, so zu gestalten, dass alles möglichst barrierefrei und unkompliziert wirkt.
Also starteten wir mit einer Idee für einen Aktionsleitfaden-Downloadbereich der im Monat vielleicht 1-2 Stunden in Anspruch nehmen würde und einem Stickermotiv, welches ein Freund sich gewünscht hatte. Nun, einige Jahre später sind wir eine größere Truppe. Viele Kreas* sind inzwischen gekommen und gegangen (und haben sich anderen, neuen Projekten zugewendet). Unser Downloadbereich ist gewachsen aber fast etwas in den Hintergrund gerückt. Und statt 50 Stickern setzten wir im Jahr 2014 rund 136.445 Sticker um, dazu Plakate, Buttons, Klebebänder und Co und unsere Facebookseite erreicht wöchentlich zwischen 12.000 – 50.000 Leserinnen. Unser Arbeitsaufwand liegt inzwischen bei einigen Stunden pro Person und Tag oder Woche. Mit anderen Worten: Wir haben mit dem herrschaftsfreien non-profit-Konzept einiges geschafft und vor allem, die Leute haben es toll angenommen! Einerseits scheinen sich also viele Menschen für die gleichen Themen wie wir zu begeistern, andererseits ziehen sie super in der Art, wie wir es machen, mit. So erheben wir ja beispielsweise keine Portokosten und sind darauf angewiesen, dass Leute einfach mal etwas mehr überweisen, sodass wir diese Kosten decken können. Und bisher sind wir noch nie länger auf Kosten sitzen geblieben! Aufgrund des Feedbacks unserer Unterstützerinnen wissen wir, dass die meisten das besonders schätzen: Dass wir authentisch sind bei dem was wir tun, keine Gewinne für uns erwirtschaften und dadurch natürlich weniger Druck ausgeliefert sind, freier und flexibler arbeiten können und persönlicher und menschlicher auftreten können und das auch tun (Wenn mich das tagesaktuelle politische Geschehen total anpisst, werdet ihr einen Kommentar dazu auf unserer Facebookseite finden ;))
Dass wir auf Produktionsbedingungen achten und auf möglichst barrierefreie Nutzung unseres Outputs finden viele super. Und auch wenn uns mal Fehler unterlaufen oder das Eine oder Andere etwas länger dauert als beim Amazon-Express-Versand, reagieren die meisten Leute echt lässig und total freundlich und betonen sogar noch eher, dass ihnen das gar nichts ausmacht, schließlich fänden sie es toll wie wir arbeiten. Das gibt einem schon enorm Rückenwind! Ab und zu mache ich mir auch mal den Spaß, die Medien gezielt zu durchsuchen, um zu sehen ob unsere Materialien, die eher auf Guerilla-Aktivismus abzielen, ankommen – und die Recherche lohnt sich oft – so gab es mal einen wochenlangen medialen Aufschrei, weil findige Journalist*innen eines Radiosenders folgenden unserer Sticker in einem Bahnabteil gefunden hatten, und die Deutsche Bahn deshalb zur Rede stellten, was denn diese neue Maßnahme solle. Zum Glück weiß bei der DB auch die eine Hand ja nie, was die Andere tut, also dementierte die DB vorsichtshalber auch nicht die Aufkleber angebracht zu haben, sondern meinten, sie würden die Maßnahme intern nocheinmal überprüfen. Das war natürlich der Aufreger schlechthin und es entstanden Riesendiskussionen zum Thema „Wie vertretbar ist es Tiere zu essen?“ …Und wir sind aus dem Kichern nicht mehr rausgekommen. Die Idee hatte sich also gelohnt.
Andererseits stoßen wir natürlich auch auf Grenzen: Gewerbeanmeldung, Steuererklärungen, Umsatzberichte, Kundinnendatensicherheit und Co sind natürlich Rahmenregeln, an die wir uns halten müssen und wollen. Zum Beispiel beim Datenschutz von Kundinnendaten, die deshalb eben bei uns grundsätzlich nicht gespeichert werden. Dazu haben wir übrigens ein schönes FAQ für unsere Freund*innen von der Polizei. Und natürlich lassen es sich gewisse Ausbeuterläden nicht nehmen, uns ständig mit irgendwelchem Gequängel zu nerven, wie Beispielsweise Cirkus Krone, der wohl der Meinung ist, allein durch unsere Existenz enorme finanzielle Einbußen durchleiden zu müssen. Hier wird der Gedanke der Total Liberation natürlich ganz schnell wieder von der grauen Realität der Bürokratie eingeholt.
Als Privatpersonen leben wir übrigens, soweit ich das überblicke, alle vegan, antifaschistisch und sehr engagiert gegen Ausbeutung und Herrschaft auf allen möglichen Ebenen.
Mit welchen Herausforderungen und Problemen seid ihr im Kontakt und in der Zusammenarbeit mit anderen, nicht veganen, Gruppen, aus dem emanzipatorischen Spektrum, konfrontiert, und wie geht ihr damit um?
Ich glaube die Herausforderungen und Probleme ergeben sich hier gar nicht, ganz einfach weil wir nicht mit Gruppen kooperieren, deren Inhalte unseren entgegen stehen. Für uns bedeutet ein emanzipatorisches, herrschaftsfreies Leben und Spektrum ganz selbstverständlich eines, welches auch Ausbeutung von Tieren (und Menschen) ablehnt. Basta und Aus. Wenn eine Gruppe meint, dass Speziesismus eine legitime Geschichte ist, dann können wir diese Gruppe und ihre Ansätze einfach nicht ernst nehmen – oder konnten das bisher nicht. Ich glaube aber auch, dass nie eine solche Gruppe bei uns nach eine kooperativen Zusammenarbeit nachgefragt hätte. Das wäre aber auch irgendwie schon sehr absurd, nachdem unser Aktionsschwerpunkt auch sehr stark auf Antispeziesismus, Tierbefreiungsideologie und natürlich Veganismus setzt.
Ehrlich gesagt haben wir eher ziemlich oft Probleme in die andere Richtung bemerkt: Vegane Gruppen, die es mit der Herrschaftskritik und dem emanzipatorischen Gedanken nicht so hatten. Wobei das ja auch so eine Sache ist, die ich nicht direkt von jedem Menschen und jeder Aktionsgruppe sofort erwarte. Ich glaube wir als Kreas haben uns bis zu diesem Punkt des Denkens als politisches Konzept erst hingearbeitet, wir kamen alle eher so aus der weniger politischen Tierrechtsecke. Probleme gab und gibt es aber immer dann ganz schnell, wenn irgendwelche Vegan-Initiativen, Vegan-Gruppen oder Vegan-Gurus plötzlich auf irgendwelche rechtsoffenen Geschichten mit aufspringen, total sexistisch agieren, einen „Linksextrem=Rechtsextrem“-Mist von sich geben oder andere Formen von Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Co abfeiern. Und da haben wir ja nicht nur in letzter Zeit echt ’ne ganze Menge Mist am veganen Stecken! Man kann ja kaum auf Facebook gehen, ohne direkt dem nächsten FAIL (aus politischer/emanzipatorischer Sicht) zu begegnen.
Das klingt jetzt sicher sehr engstirning und teilweise kommt es ja vor, dass die Verfasserinnen solcher Fails darauf angesprochen werden, das ganze nochmal ansehen und dann echt ein vernünftiges Statement dazu verfassen. Das ist okay und wichtig. Ich erinnere mich voller Scham daran, dass wir in der Anfangszeit mal aus Versehen einen KOPP-Verlag-Link geteilt hatten – totaler Riesenfail! Wir konnten das allerdings schnell richtig stellen und klären. Aber – und da liegt das eigentlich Problem, das ich sehe – viele Gruppen und Personen, die sich als Verfechterinnen des veganen Lebens verstehen, agieren, um anschlussfähig zu bleiben, politisch komplett undifferenziert. Und die finden es dann auch mal toll, wenn ein Attila Hildmann als Vegansta dafür wirbt, dass „die Bitches und Herbiwhores an seinen veganen Icecreamballs licken“ und eine vermeintlich antifaschistische Kim Wonderland (wie Videos belegten) auf Nazikonzerten rumhängt, wo neben ihr fröhlich der Hitlergruß gezeigt wird, von dem sie aber nichts bemerkt haben will.
Wenn man so etwas kritisiert, kommen dann Horden von „Ich bin politisch eher neutral“-Jünger*innen die einem darlegen, wie blöd man ist und wie toll ihr sexistischer, rassistischer, rechtsoffener (…) Guru ist. Da frage ich mich oft, wie man vegan leben und politisch sowas von hohl oder einfach gar nicht reflektiert sein kann. Ausbeutung von Tieren „nein“ und Ausbeutung von Menschen „hell yeah“ – oder wie? Also da sind meine Erfahrungen echt traurig und das wird, so finde ich, auch immer schlimmer. Und das ätzendste ist: Aufgrund solcher obig beschriebenen Knallköpfe werden dann andere, explizit vegan lebende, emanzipatorische Gruppen in anderen emanzipatorisch linken Spektren nicht mehr ernst genommen.
Was kann man aus eurer Sicht tun, um die Tierbefreiungsbewegung für Aktive aus dem emanzipatorischen Spektrum attraktiv zu machen, für die Tierbefreiung aktuell – noch – kein Thema ist?
Wenn ich da mal eine Lösung hätte…hmhm. Ich denke erst einmal müsste man vielleicht in der veganen Bewegung nochmal ein wenig Bewusstsein dafür schaffen, dass Veganismus (also als Lebensstil, nicht als reine Ernährungsform) ein genuin linkes Thema ist. Eines, dass nicht nur untrennbar mit Herrschaftskritik, Emanzipation und Politik verbunden ist – oder sein sollte, sondern, dass es per se schon eine politische Haltung ist. Viele Veganer*innen denken hochpolitisch, wissen das aber selber wohl gar nicht. Die erklären dann, dass sie politisch „eher neutral“ und „Mitte“ sind und wenn du sie dann ein paar politische Positionen abfragst, kommt raus, dass ihr Denken total links ist, sie haben nur keine Ahnung von ihrer eigenen Positionierung und wenn du dann sagst „das ist aber total linkes Denken“ dann kommt sofort ein hysterisches „NEINNNNN!!!! ICH BIN GEGEN JEDEN EXTREMISMUS!!!!“ – ähm, ja.
Die Vegane Gesellschaft Deutschland hat es sich ja nicht nehmen lassen, mehr als einmal zu betonen, dass die Tierbefreiungsbewegung NICHTS für den Veganismus geleistet habe und dass Veganismus eine komplett unpolitische Lebenseinstellung sei. Solange Veganismus als unpolitisches Thema verkauft wird und Veganer mit so einer Denke rumlaufen, kann ich verstehen, dass wir als vegane emanzipatorische Gruppen erst einmal schief angesehen werden.
Dann beobachten andere emanzipatorische Gruppen sicher auch sehr genau wie politische Positionierungen bei „uns“ ablaufen. Da bringt PETA wieder einen Holocaustvergleich, Attila erklärt uns alle zu Vegannazis und palavert von „Ruhm und Ehre“, Kim heult sich durch die internationale Presse, weil sie es gemein findet, dass veröffentlicht und belegt wurde, dass ihr Freund enge Kontakte in die Neonaziszene pflegt und irgendwelche Z-Promis der veganen Szene rennen plötzlich bei den Montagsdemos mit und erzählen was über die Islamisierung Deutschlands. Was zur Hölle…?! Und was machen „wir“, bzw. der gefühlte vegane Mainsteam? Erklärt in Massen, dass das doch wohl total legitim sei.
Also ganz ehrlich, da wäre ich als emanzipatorische Gruppe, die keinen Anschluss zum Veganismus hat, doch sehr skeptisch und würde auch sagen „bekommt erst mal eure eigenen Leute „in den Griff“ bevor ihr uns was über konsequentes politisches Denken erzählt.“
Dennoch finde ich dieses Denken anderer (nicht veganer) emanzipatorischer Gruppen falsch. Einerseits, weil es genau dieses „über einen Kamm scheren“ und teils mackerhafte Belächeln beinhaltet, welches wir/sie eigentlich gerade nicht wollen. Und andererseits, weil ich denke, dass es leicht als Ausrede verwendet wird, um sich nicht selber mit diesem unbequemen Thema beschäftigen zu müssen. So alla: „Solange es Veganer gibt, die PEGIDA liken, kann dieser Veganismus nicht so politisch bedeutsam sein, dass ich mich damit beschäftigen und mir so „mein“ Fleisch vom Teller nehmen lassen müsste“.
Das merkwürdige ist, dass ich schon mit vielen radikal links denkenden Menschen über Veganismus diskutiert habe und ihnen dargelegt habe, warum ICH den Antispeziesismus als logischen Bestandteil jedes herrschaftskritischen Denkens und Handelns betrachten muss – und interessanterweise gaben sie mir auf politischer Ebene alle vollkommen Recht. Und am Ende kam trotzdem oft dieses „Aber ich lass mir mein Fleisch nicht verbieten“. Ich weiß nicht was ich damit anfangen soll – diese Leute haben das Ganze in meinen Augen entweder einfach doch nicht verstanden oder es handelt sich doch um dieses oben erwähnte mackerhafte Denken oder eine schlichtweg merkwürdige Definition von persönlicher Freiheit und eben „Total Liberation“. Vielleicht sollte man einfach mal alle nicht-vegan-lebenden Gruppen im emanzipatorischen Spektrum bitten, zu definieren was sie unter „Total Liberation“ verstehen und für wen diese gelten soll und für wen, aus welchem Grund, explizit nicht – vielleicht tritt das ja einen Reflektionsprozess in Gang.
Dieses Interview führte (hoffentlich im Sinne aller Kreaktivist*innen) Mono
Danke für das Interview @ Kreaktivisten
Übersicht aller bisher veröffentlichten Total Liberation-Interviews.
Der Beitrag Total Liberation Interview 2 – Kreaktivisten erschien zuerst auf Indyvegan.